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Kunsttherapie in der Notfallpädagogik

Im interdisziplinären „Gebäude" der Notfallpädagogik nehmen die künstlerischen Therapien eine wichtige Rolle ein. Vor allem die Heileurythmie und die Musiktherapie können neben der Kunsttherapie, die mit den Mitteln der bildenden Künste arbeitet, eine prädestinierte Form der unmittelbaren therapeutischen Hilfe sein. Durch ihren nonverbalen Charakter eignen sie sich besonders belastende Erlebnisse chiffriert auszudrücken. Dieser Artikel soll Kolleginnen und Kollegen helfen sich ein Bild von der Tätigkeit des Kunsttherapeuten in Auslandseinsätzen in Krisengebieten zu machen.
Die Arbeitsumstände sind mit denen in Europa nur im entferntesten vergleichbar.

  • Sie arbeiten fast immer mit potentiell traumatisierten Kindern, deren Lehrer, Erzieher oder Betreuer ebenfalls potentiell traumatisiert sind. Traumatherapeutische Kenntnisse sind daher unerlässlich.
  • Sie können sich in vielen Fällen nicht direkt mit den Betroffenen verständigen
  • Die Betroffenen kommen meist aus einem Ihnen zunächst nicht vertrauten Kulturkreis
  • Die Arbeitsumstände sind Ihnen vorab möglicherweise nicht bekannt
  • Es erwarten Sie möglicherweise große Gruppen
  • Hunger, Wassermangel und schwierige hygienischen Zustände bei den Betroffenen können neben weiteren Faktoren belastend wirken.

Unter diesen Umständen ist es außerordentlich wichtig, dass Sie sich genügend Zeit nehmen um sich auf den Einsatz vorzubereiten. Weiterbildungen im Bereich „Interkulturelle Kunsttherapie" sind hier nur eine Möglichkeit, besser ist es, wenn Sie z. B. Erfahrung sammeln können in der kunsttherapeutischen Flüchtlingsarbeit, auch um interkulturelle Kompetenz zu erwerben. Auf jeden Fall müssen Sie sich vor dem Einsatz ausführlich informieren:

  • Über das Einsatzland, dessen Geschichte, die politische und wirtschaftliche Situation
  • Über Flora und Fauna
  • Über die kulturellen und religiösen Belange
  • Fachbezogen über die Farb- und Formenwelt
     

Nur dann wird es Ihnen möglich sein sich mit Ihrer Arbeit dort in das Leben der Kinder einzuklinken, wo diese wirklich stehen. Auch wenn es umständlich und schwierig ist, ist es ratsam möglichst wenig Material aus Europa mitzubringen. Dieses weckt in den meisten Fällen Begehrlichkeiten und macht abhängig. Auch nach dem Ende des Einsatzes soll ja die kunsttherapeutische Arbeit weitergehen, deshalb ist es wichtig von vornherein mit örtlichem Material zu arbeiten.
 

In der unmittelbaren Arbeit sollte immer berücksichtigt werden, dass das bildnerische Arbeiten in anderen Kulturkreisen einen völlig anderen Stellenwert hat. Besonders in muslimischen Ländern nehmen uns die religiösen Vorschriften, bzw. auch die überlieferten Traditionen beinahe jedes künstlerische Werkzeug aus der Hand: Unterschiedliche Abstufungen des Abbildungsverbotes und die religiös bedingte Ablehnung der schöpferischen Tätigkeit an sich erschweren die kunsttherapeutische Arbeit enorm. Im Extremfall darf nichts abgebildet werden, was einen Schatten wirft. Bilder an der Wand – außer Fotos – sind in muslimischen Ländern nicht üblich. In diesen Fällen ist es ratsam auf das Kunsthandwerk und auf Handarbeitstechniken auszuweichen und statt Bildern oder Plastiken schöne, aber v.a. nützliche Gebrauchsgegenstände herzustellen.
 
Grundsätzlich sollte sich die kunsttherapeutische Arbeit an den Stufen der Traumatherapie orientieren:
 

  1. Stabilisierungsphase: Zunächst Ressourcen aktivierend, stabilisierend wirken. Dies ist die längste Phase. Je nach der Länge des Einsatzes können bereits in dieser Phase spontan traumatische Inhalte Ausdruck finden, das kann entlastend wirken. Dies ist den Kindern nicht immer bewusst und sollte daher auch nicht unbedingt thematisiert werden.
     
  2. Die nächste Stufe, die Annäherung an das traumatische Erlebnis, stellt sich bei Kindern meistens spontan ein. Plötzlich zeichnen oder malen Sie das erlittene Leid minutiös, manchmal sogar noch verstärkt, um Gehör zu finden. Die Wiedererinnerung, der Traumaausdruck ist da. Auch in großen Gruppen muss man versuchen den Einzelkontakt in solchen Situationen zu suchen. Die Kinder erwarten von uns in solchen Situationen durchaus, dass wir Stellung nehmen dazu, was passiert ist. Da ihr Weltbild durch das traumatische Ereignis erschüttert ist, wissen sie nämlich nicht mehr, was GUT und was BÖSE ist. Bei rivalisierenden Volksgruppen kann das eine heikle Sache werden. Dennoch muss das individuelle Leid immer Anerkennung finden.
     
  3. Den letzten Schritt bildet das Annehmen des Schicksals und die Integration des Erlebten in die individuelle Biografie.
    Die Nothilfe, selbst, wenn sie über einen längeren Zeitraum gewährt werden kann, erreicht diese Stufe nur selten. Es braucht eine lange Zeit, bis das Leben neu geordnet wird und eingesehen werden kann, dass möglicherweise nichts mehr so wird, wie es einmal war. Dennoch sei das hier der Vollständigkeit halber erwähnt, denn man begegnet  immer wieder Menschen, die die erstaunliche Fähigkeit haben, ihrem schweren Schicksal auch Positives abzugewinnen, sobald sie therapeutische Hilfe bekommen.

 

Hat man keine Erfahrung mit der Traumatherapie, sollte man sich auf die Stabilisierung beschränken. Die Natur hat uns auf eine enorm vorausschauende Weise auf die Integration von belastenden Erlebnissen vorbereitet.

 

Mögliche kunsttherapeutische Maßnahmen
 
Diese richten sich immer nach der Kultur des Landes, nach den örtlichen Möglichkeiten und dem Alter der betreuten Kinder. Das Malen mit Wasserfarben ist immer hilfreich, auch wenn das nicht immer mit flüssigen Farben, wie es in der Therapie gewöhnlich gemacht wird, geschehen kann. Kinder möchten sich an uns anlehnen, so ist das in der Therapie übliche „freie Bild" meist bereits eine Überforderung. Es können ergänzend alltägliche Themen mit angeboten werden, wie Haus, Baum, Mensch, Tiere.

Kinder gestalten gerne auch gemeinsam. Meistens fehlt ihnen in Katastrophenzeiten die Schule, ihre Freunde. Das gemeinsame Gestalten eines Mal- oder Zeichenprojektes lässt sie wieder Normalität spüren, es macht ihnen Freude die Regeln dabei einzuhalten, ja über diese zu wachen.

Größere Kinder und Jugendliche, die auffallend gerne zum Schwarz greifen, können große Begeisterung zeigen beim Zeichnen mit Kohle. Das einfache Verhindern der Verwendung von Schwarz erweist sich als wenig hilfreich. Auch die Aufforderung das Schwarz zu mischen aus den Grundfarben geht an den Bedürfnissen von traumatisierten Menschen vorbei. Als KunsttherapeutIn sollten wir in der Lage sein die Finsternis-Qualität des Schwarzen zu nutzen: Schwarz, als Träger der einhüllenden Finsternis, die die Dinge in sich brigt und auch wieder der Sichtbarkeit  geben kann.

Nicht überall ist die Möglichkeit zum Plastizieren gegeben, ist aber Ton vorhanden, kann von der Kugel aus auch plastiziert werden. Hierbei sollte die Menge so sein, dass das Kind sie mit seinen beiden Händen halten kann. Der eigene Seelenzustand kann z.B. in Form von Tieren ausgedrückt werden.

Sind das Malen, Zeichnen und Plastizieren keine Option, so kann in der Natur gearbeitet werden (LandArt), man kann mit Naturmaterial Bilder gestalten, Windharfen bauen, oder eben auf Handarbeit und Werken in einfacher Form ausweichen.

Spektakuläres sollte vermieden werden. Vor allem sollte der Abschied von den Kindern ganz schlicht gestaltet werden. Luftballonaktionen, Modenschauen und ähnliches dienen eher der Eitelkeit der Therapeuten, als den Kindern, deren örtlichen  Erzieher neben derart bunten „Shows" blass dastehen. Sie sind es jedoch, die vor Ort die Knochenarbeit machen. Darüber hinaus sollte der Übergang vom Einsatz in die Normalität möglichst geschmeidig sein.

Grundsätzlich gilt:

  •  *Alle Therapiemaßnahmen sollten den selben gemeinsam formulierten thera­peuti­schen Zielen dienen*
     
  • Kurzeinsätze sind zu meiden, da die Wirksamkeit trotz salutogenetischer Überlegungen höchst fraglich ist. 6 bis 12 Monate sind gewöhnlich nötig um nach einer Katastrophe wieder stabilisiert ins Leben zurückkehren zu können. Hierbei können sich verschiedene Teams abwechseln und Fachkollegen sollten sich absprechen.
     
  • Wegen des enormen Arbeitsaufkommens hat es sich in Einsätzen bewährt sich allabendlich kritisch mit dem eigenen Tagwerk auseinanderzusetzen. Es gibt auch hier, und gerade hier! gute und schlechte Tage und es gehört dazu. die schlechten Tage offen, ehrlich und selbstkritisch, aber ohne Selbstzweifel anzunehmen, damit über Nacht wieder Kraft für den nächsten Tag mit seinen neuen Chancen und Herausforderungen fließen kann.

09.09.2012
 
 

Rita Eckart
 
Kunsttherapeutin im Bereich interkulturelle Kunsttherapie
stART international emergency aid for children,
 
 

Rita Eckart koordiniert die zertifizierte Weiterbildung für Notfall- und Traumakunsttherapie, eine Kooperation von stART international und der Alanus Hochschule (Alfter bei Bonn).

Diese Weiterbildung führt in die Arbeit mit Klienten nach Krisen und Katastrophen ein. Der Bedarf an speziell ausgebildeten, interkulturell kompetenten Therapeuten, die interdisziplinär auch in internationalen Teams arbeiten können, wächst ebenso, wie nach nonverbalen Therapieformen, die Klienten über sprachliche und geographische Grenzen hinweg erreichen können. Mehr Informationen hier.

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